01.01.2021


Radau!: „Streng geheim!“



Sanfte Anarchie im Kinderzimmer



Vergleichsweise leise beginnen die ersten Takte dieses Album einer Band, die ihrem Namen nach zu urteilen eher für laute Töne steht. „Ich geh nicht ins Bett“ singen Radau! – und kaum, dass diese Aussage einmal im Raum steht, nimmt der erste Song Platte dann doch Fahrt auf: »Ich geh nicht ins Bett / ich schlaf nicht ein / bleib die ganze Nacht wach / it’s partytime«, heißt es im Refrain. Das mag zunächst nach einem weiteren Tonträger klingen, der nichts anderes im Sinn hat, als Kinder penetrant zu Bewegung animieren und Spaß verbreiten zu wollen. Tatsächlich steht die Hamburger Band jedoch bereits seit vielen Jahren für ein deutlich facettenreicheres Verständnis von Kindermusik.

Ein Geheimtipp sind Radau! in der Kindermusikszene längst nicht mehr. Schon 2005 erschien ihr ersten Album „Am liebsten laut“, seitdem wird das Image „garantiert blockflötenfrei“ konsequent weiter gepflegt. „Streng geheim“ macht da keine Ausnahme. In klassischer Rock-Besetzung beweisen die vier Musiker, dass sich kindgerechte Texte und ein kraftvoller Sound keineswegs ausschließen. Ganz im Gegenteil! Mit viel Talent für eingängige Melodien macht die Band die Alltagserfahrungen von Kindern zum Ausgangspunkt für musikalische Ermutigungen zu mehr Selbstbestimmung. „Ich liebe die Gefahr“ besingt die kindliche Unerschrockenheit (»Ich liebe die Gefahr / wenn es so richtig schön gefährlich ist / find ich’s wunderbar.«), in rasantem Tempo regt „Wir sind dagegen“ zu eigener Haltung an. Mit stampfendem Rhythmus würdigt „Geradeaus“ das Stehvermögen unverbesserlicher Dickköpfe (»Nichts und niemand hält mich auf / weil ich immer weiter lauf / durch Berg und Tal, Stadt und Land / und immer mit dem Kopf durch jede Wand.«) und augenzwinkernd erzählt „Aber Mama“ von den Vorteilen, die sich aus der erzieherischen Unentschlossenheit der eigenen Eltern ergeben.

Auch Lieder wie „Keine Lust zu warten“, „Hör nicht auf zu fragen“ oder „Weite Welt“ formulieren auf jeweils eigenständige Weise den Anspruch, Kinder auf ihrem eigenen Weg durchs Leben musikalisch begleiten zu wollen. Eine irritierende Ausnahme macht lediglich der Song „Die Kurzen kommen“. Das Thema Verkehrssicherheit wirkt im Gesamtkontext etwas deplatziert, die gewollt pädagogische Absicht hätte das Album nicht gebraucht. Auch das freundliche „Hallo hallo“ fällt ein wenig aus dem Rahmen, taugt aber als willkommene Bereicherung für den Morgenkreis im Kindergarten.

Anders als viele zeitgenössische Kindermusik-Bands meiden Radau! die indirekte Ansprache der Eltern. Ironie, doppeldeutigen Wortwitz oder Songs aus der Perspektive von Erwachsenen sucht man auf diesem Album vergebens. Konsequent ergreift die Band Partei für Kinder, ohne die Eltern dabei vorzuführen oder Alt und Jung gegeneinander auszuspielen. Genauso wenig erliegt sie der Versuchung, sich den musikalischen Stil berühmter Idole zum Vorbild zu nehmen. Gelegentliche Ausflüge in andere Genres werden ebenso strikt unterlassen, wie Experimente mit elektronischen Klängen. Die Band hat über die Jahre ihren eigenen Sound gefunden, der in besonderer Weise vom mehrstimmigen Gesang der Musiker geprägt ist. Anders gesagt: Wo Radau draufsteht, ist auch nur Radau! drin.

Fazit: Mit dem Label „Rockmusik für Kinder“ schmücken sich inzwischen zwar auch viele andere Künstler*innen, Radau! zählen aber zu den Pionieren auf diesem Gebiet. Auch nach 15 Jahren bleibt die Band ihrem Stil treu, ohne dabei langweilig zu klingen. Das liegt auch am professionellen Anspruch, den die Musiker seit jeher an die Produktion ihrer Alben stellen. Hinzu kommt, dass sie sich auch ihrer pädagogischen Verantwortung stets bewusst sind. Die Texte greifen bisweilen zwar Konflikte auf, lassen diese aber nie eskalieren oder unaufgelöst im Raum stehen. Sie sind angenehm eingängig, aber nicht einfältig. Mit dieser Herangehensweise erleichtert die Band insbesondere jüngeren Kindern den Ausstieg aus der harmlosen und meist akustisch geprägten Kita- und Kindergarten-Musikwelt. Das eingekreiste „R“, das in Anlehnung an das Symbol für Anarchie das Album-Cover ziert, mag dabei zunächst irritieren. Auf den zweiten Blick ergibt die Anspielung auf die politische Parole „Ordnung ohne Herrschaft“ aber gerade im Kinderzimmer Sinn.

Erschienen bei


German Wahnsinn

Veröffentlicht


2017

Bewertung der Redaktion: 4/5


Künstler*in



Bandfoto RADAU!

Radau!

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